Zeitungs-Ausschnitte: Allgemeines (11)

"Kommt die nächste Rock-Revolution aus dem Osten?" - Zeitschrift "Metal Hammer" (1990)

Ungarn hat schon seit langem eine Rocktradition. Omega hieß einst einer der exponiertesten Vertreter des Magyaren-Rock, der in den Siebzigern auch im Westen erstaunte Aufmerksamkeit erregte. Aus der DDR kamen wenig später die Puhdys mit ihren engedeutschten Cover-Versionen und die gerade in Westgermanien extrem erfolgreichen Jungs von City. Die CSSR sandte Mitte der gerade endgültig in die Geschichte verabschiedeten letzten Dekade eine Combo namens Citron in die Manege des internationalen Rockzirkus und auf West-Tour mit den Damen von Rosy Vista.
Rock fand also durchaus statt jenseits des damals noch weitgehend rostfreien Eisernen Vorhanges. Allerdings nur in kleinstdenkbarem Rahmen. Es gab einige wenige Bands pro Land, die sich höchstbehördlicher Wertschätzung sicher sein und sogar in den Westen reisen durften - unter anderem auch zwecks Devisenbeschaffung für die notleidende heimische Verplan-Wirtschaft. Von einer echten Szene konnte man dennoch in kaum einer der "real existierenden sozialistischen Republiken" sprechen, zu sehr unterschieden sich die Startbedingungen für Rocker/Ost von denen für Rocker/West. Ostblock-Rocker hatten und haben Probleme mit so schnöden Dingen wie ihrem Equipment, das, wenn überhaupt welches zu bekommen war, extrem teuer bis schlicht unerschwinglich war, hatten sich einer strengen Zensur zu unterwerfen und waren der Kulturbehörden-Willkür weitgehend hilflos ausgeliefert. Studios gab es entweder gar nicht, oder sie hatten einen vorsintflutlich anmutenden technischen Standard, legale Auftrittsmöglichkeiten waren so selten wie Schnee in der Sahara. Mit der traurigen Folge, daß gerade Gitarrenrockbands der härteren Schule schlicht in den Untergrund verbannt waren. Nicht nur das, als "westlich dekadent" verschrieen, hatten diese Bands kaum eine Chance, je aus dem Underground herauszukommen, zumal sie sich, wie ihr Publikum, nicht geneigt zeigten, die Spielregeln der Gesellschaft und deren offizieller Ideologie zu befolgen. Rock bedeutete auch im Osten Rebellion. Eine Rebellion, die allerdings von ganz anderem Kaliber war als das, was hierzulande so an rebellischer Attitüde imagegerecht gepflegt und gezeigt wurde und wird. Rebellion jenseits der Daimler-Grenze war stets auch verbunden mit Gefahren für die persönliche Freiheit und die physische Unversehrtheit. Die Rolle des Außenseiters oder gar Aussteigers läßt sich in einer vordergründig liberalen Wohlstandsgesellschaft wie der unseren sehr viel leichter und ungefährdeter spielen als in einer monolithischen Einheitsgesellschaft mit strikter ideologischer Ausrichtung, in der anarchischen Neigungen gar kein oder nur sehr wenig Raum gegeben und in der sie als sehr viel störender und gefährlicher empfunden werden.
Bis vor wenigen Jahren, gelegentlich sogar nur Monaten, gehörte in osteuropäischen Staaten einiger Mut und die Bereitschaft zu hohen persönlichen Risiken dazu, sich als Metallen zu erkennen geben oder gar selbst Hardrock und Heavy Metal zu spielen, vor allem auch deshalb, weil Metaller als Musikschaffende nur in den seltensten Fällen jene Freiräume nutzen konnten, die den etablierten Kunst- und Kulturschaffenden selbst in arg restriktiven Gesellschaften immer noch offenstehen. Musik, die sich nicht innerhalb der Grenzen anerkannt "wertvoller" Kultur hielt, hatte es verdammt schwer. Das betraf in erster Linie engagierte Liedermacher, Punks und Metaller. War es bei ersteren hauptsächlich der Gehalt der Texte, deren Aussagen, der sie extrem unbeliebt machte, waren es bei letzteren die Musik an sich und das damit verbundene nichtkonformistische Auftreten, das sich eben auch in Kleidung und Haartracht dckumentierte. Parallelen zum Westen sind dabei durchaus nicht zufällig, das gemeinsame bürgerlich-autoritäre Erbe beider Herrschaftssysteme schimmert deutlich durch.
Die Repressalien, denen sich Rockbands ausgesetzt sahen, waren vielfältigster Natur. Musiker der DDR-Band Prinzz, die sich zwischenzeitlich in Blitzz umbenennen mußte, da Amerikas Pop-Prince was gegen arme Namensvettern im europäischen Osten hat, beschrieben vor knapp einem Jahr die typische Ostrocker-Situation so: „Eine freie Veranstalterszene gibt es bei uns überhaupt nicht. Alle Konzerte müssen im Vorfeld von den Kreisbehörden der Volkspolizei genehmigt werden. Die wiederum führen Schwarze Listen über unliebsame Personen und Künstler. Ist man erst einmal in eine solche Liste reingeraten, kann man Auftritte in besagtem Kreis getrost vergessen, Da die einzelnen Kreisbehörden der Volkspolizei sich und ihre Listen natürlich auch untereinander austauschen, kann es einem im Extremfall durchaus so ergehen, daß man im Endeffekt einem generellen Auftrittsverbot für die gesamt Republik unterliegt. Die Entscheidung gegen eine Band wird in der Regel sehr willkürlich gefällt. Da sitzt dann irgend so ein 50jähriger Beamter an seinem Schreibtisch und fragt sich: 'Kommen viele Langhaarige?' Hat er das Gefühl, daß tatsächlich viele Langhaarige kommen, dann ist für die Band die Sache bereits gelaufen."
Dieses Problem stellte sich für nahezu alle Bands in allen Ostblockstaaten mehr oder weniger gleich. Nochmal das Beispiel DDR. In der DDR hatte (hat immer noch?) jeder Mensch die PFLICHT zur Arbeit. Das beseitigt zwar auf dem Papier die Arbeitslosigkeit, führt aber in der Praxis zu gelegentlich haarsträubenden Ergebnissen, denn "wenn dieser Pflicht nicht nachgekommen wird, dann geht's ohne Umschweife ab in den Knast. Wer länger als drei Monate nicht arbeitet, bekommt Ärger mit dem Arbeitsamt. Eine Ausnahmegenehmigung gibt's nur dann, wenn man dem Amt nachweisen kann, daß man von Haus aus gut genug betucht ist, seinen Lebensunterhalt ohne Arbeit bestreiten zu können - was natürlich kaum jemand kann."
Amateure mußten also in der DDR eine feste Arbeitsstelle nachweisen können, um überhaupt als Musiker offiziell zugelassen zu werden. Außerdem ein Zertifikat dieser Arbeitsstelle, in dem bestätigt wurde, daß der Musiker/die Musikerin ein(e) gesetzestreue(r) Bürger(in) ist.
Was für die eine Band Blitzz gilt, das gilt natürlich auch für die vielen anderen wie Berluc, MCB, Plattform, Cobra, Biest, Powerage, Metall oder Mephisto. Bis vor wenigen Monaten waren die Zeiten für alle diese Bands extrem hart, zumal die staatliche Zensur stets Gewehr bei Fuß stand, um jede Wortmeldung sofort auf ihren Gehalt zu prüfen. War der Gehalt im Text da, dann wurde so lange Druck auf die Bands ausgeübt, bis er absolut glattgeschliffen war. Nicht von ungefähr haben DDR-Bands eine unglaubliche Meisterschaft darin entwickelt, anstößige oder politisch mißliebige Inhalte so geschickt zwischen den Zeilen zu verstecken, daß der Fan zwar noch raushören konnte, was eigentlich gemeint war, die Zensur jedoch weitgehend ins Leere lief. Doch selbst die größte Meisterschaft schützt gelegentlich vor Fehltritten nicht, wie wohl alle Bands hin und wieder immer mal feststellen mußten, wenn die Bürokratie doch mal was zu nörgeln und zu streichen fand. Einige Gruppen erwischte es knallhart, wie beispielsweise die Magdeburger "Klosterbrüder". Zunächst einmal wurde die Band gedrängt, den anrüchigen, unrevolutionären Namen zu ändern, dann wurde ihr nahegelgt, sich musikalisch weicher zu geben, dann sollten die Musiker doch lieber gleich einen Ausreiseantrag stellen und schließlich landeten sie im Knast.
Andere Bands wurden mit totalen Medienverboten belegt, durften nicht einmal Studios zu Aufnahmen benutzen und dergleichen mehr.
Wie bereits gesagt, das spezielle Beispiel DDR ist gleichzeitig symptomatisch für den ganzen Ostblock bis Ende der Achtziger.
Dennoch blühte die Szene immer stärker auf, in allen Ländern, selbst in Rumänien. Überall schossen seit Beginn der Achtziger Heavybands aus dem Boden und vermehrte sich das Heer der Fans lawinenartig. Die Schwierigkeiten, mit denen Bands und Fans, neben den beschriebenen, zu kämpfen hatten und haben, sind für verwöhnte Westler kaum noch nachzuvollziehen.
Es fehlt praktisch an allem, an professionellem, modernen Equipment, vernünftigen Instrumenten, Studios und erfahrenen Toningenieuren und Produzenten, Transportmitteln für Musiker und Ausstattung, Cassetten- und Bandmaterial, Auftrittsmöglichkeiten, ja sogar an Fotokopierern oder Druckereien, um eigenes Promomaterial zu gestalten.
Bis vor kurzem war es zudem für osteuropäische Fans nahezu unmöglich, Informationen über Bands und Musik aus dem Westen zu bekommen. Magazine mußten auf den unglaublichsten Wegen beschafft und durch den Eisernen Vorhang geschmuggelt werden, wo sie dann zu Wahnsinnspreisen weiterverkauft wurden. So wurde die deutsche Ausgabe des Metal Hammer, seit nunmehr fast sechs Jahren DAS Informationsmedium in Sachen Heavy Rock, in der UdSSR für gute 150 Rubel gehandelt, in der DDR mußte der Fan im Extremfall, trotz der relativ (im Vergleich mit anderen Ländern) guten Beschaffungs-Situation, viele haben schließlich Westverwandte, bis zu 200 Ostmark hinblättern und anders sah es auch in Bulgarien, Rumänien, Polen oder der CSSR nicht aus.
Fanzines gab es zwar in fast allen Ostblockstaaten schon seit Mitte der Achtziger, doch erschienen diese in der Regel in verschwindend kleinen Auflagen und kamen nie aus dem Untergrund heraus. Das Rostocker Fanzine LOUD'N'PROUD wurde per Schreibmaschine erstellt, notdürftig geheftet und dann in minimaler Stückzahl verkauft, ganz einfach deshalb, weil es weder technisch noch rechtlich anders möglich war.
Plattenaufnahmen konnten Ostblock-Gruppen mit Metall-Ambitionen durchweg von vornherein vergessen. Die wenigen Ausnahmen, die es dennoch zu Vinyl gebracht haben, bestätigen eher diese Regel.
Trübe Aussichten also und auf den ersten Blick recht entmutigende noch dazu. Allerdings, so homogen, wie es scheinen mag, war der Ostblock schon seit Jahren nicht mehr. Polen, Ungarn und die CSSR waren die ersten, die ihre Tore gen Westen öffneten und die hart rockenden Heroen der dekadenten Kapitalisten Jugend ins eigene Ländle holten. Schon 1986 verschlug es Iron Maiden in besagte Länder, teerte Motörhead durch den magyarischen Teil der alten KuK-Doppelmonarchie und besuchten die Hannoveraner Ladies von Rosy Vista im Vorprogramm der tschechischen Superstars Citron die Tschechoslowakei, wo sie im Schnitt vor vier bis sechstausend Leuten spielten.
Im Gegenzug machten sich Bands aus diesen drei Staaten auf nach Westen. So supporteten Citron, allerdings in wesentlich kleinerem Maßstab als von der tschechischen Heimat her gewohnt, Rosy Vista auf deren Tour durch die Clubs Westgermaniens. Rund 500 Leute konnten im Schnitt pro Gig eine absolut professionell agierende Band erleben, die zwar die Originalität nicht gerade mit Löffeln gefressen hatte, dafür jedoch einige Musikalität und erhebliche technische Fähigkeiten unter Beweis stellte. Citron, nach wie vor ein Majoract in der CSSR, dessen neuestes Album "Radegast" unlängst auch in der BRD veröffentlicht wurde, konnte es jederzeit mit jeder durchschnittlichen westlichen Band aufnehmen und hätte nicht wenige davon wohl im Handumdrehen an die Wand gespielt.
In der Folgezeit entwickelte sich ein wahrer Sturmlauf westlicher Acts in Richtung Warschauer Pakt-Staaten. Vor allem Bands aus der zweiten Liga nutzten frühzeitig die Chance, den kleinen heimischen Clubs und dem vorherrschenden Desinteresse des rockverwöhnten Westpublikums zu entkommen und stattdessen in ausverkauften Sälen und Hallen jeder Größenordnung vor ausgehungerten und vor Begeisterung tobenden Fans loszumetern. Manche dieser Gruppen, in ihrer Westheimat bis heute bestenfalls zweite Liga, gelten in Ungarn, Polen, der CSSR, Jugoslawien oder Bulgarien mittlerweile als Publikumsmagneten, die problemlos selbst große Hallen und mittlere Stadien füllen können. Stormwitch sei hier als ein Beispiel aufgeführt, Noisehunter, mittlerweile auch in der DDR live präsent, als ein anderes.
Was diesen Bands recht war und ist, das konnte den Megaacts unserer Breiten nur billig sein, ihnen auf dem Fuße folgten IRON MAIDEN und METALLICA (Polen 197), DEEP PURPLE (1987, Budapest), RUNNING WILD, HELLOWEEN, OVERKILL, ACCEPT, sie alle verschlug es hinter den Eisernen Vorhang. Und sie wurden heiß begeistert aufgenommen, ob in Warschau, Prag, Budapest oder Bratislava, der Heavy Metal-Zug dampfte mit Volldampf der aufgehenden Sonne entgegen. Geld spielte in all diesen Fällen kaum eine Rolle, die Lust am Abenteuer überwog und überwiegt. Bargeld nämlich, eine solide Gage oder ähnliches, war in keinem Ostblockland zu verdienen. Sicher, die Veranstalter, vornehmlich die staatlichen Künstleragenturen, später jedoch auch privat organisierte HM-Fanclubs und Studentenorganisationen, zahlten alle Spesen, die vor Ort entstanden, sorgten für Übernachtung und Nahrung, konnten auch Zloty- oder Forint-Gagen zahlen, doch sind dies Währungen, die nicht konvertibel sind, hierzulande also kaum Wert besitzen, schon gar nicht den des offiziellen oststaatlichen Wechselkurses. Equipment, Trucks, Crew, Nightliner, all dies mußten, da nur in den wenigsten Fällen im Osten qualitativ äquivalente Ausrüstungen zur Verfügung gestellt werden konnten, die Bands aus eigener Tasche finanzieren.
Die Sache war's ihnen dennoch allemal wert. Ebenso wie Exumer, Rage, Angel Dust, Iron Age, Risk, Sodom, Kreator und vielen weiteren Bands.
Eins zeigt diese Bandliste deutlich, was gefragt war und ist im anderen Zimmer des gemeinsamen Hauses Europa, ist Speed, Thrash, Hardcore und Metal-Crossover.
Kein Wunder, daß das Gros der musikalischen Außerungen, die aus besagten Ländern zu uns herüberdringen, ebenfalls dieser musikalischen Ecke zugeordnet werden muß.
Thrash und Speed war und ist extrem populär.
Allerdings sind die Startvoraussetzungen für junge Bands nach wie vor schlecht. Freie und unabhängige Plattenfirmen existieren so gut wie gar nicht, und die staatlichen Monopolbetriebe kommen erst ganz allmählich dahinter, daß auch Heavy Metal ein Bestandteil sozialistischer (soweit die Ideologie im revolutionären Osten überhaupt noch "sozialistisch" benannt wird) Unterhaltungskultur ist und entsprechend in Vinyl gepreßt werden sollte.
Wenn das allerdings in Ausnahmefällen doch geschehen ist, dann entwickelten sich die entsprechenden Bands häufig von Underground-Demo-und Livehelden zu Plattenmillionären. Allerdings nur, was den Umsatz der schwarzen Scheiben an sich anging, denn verdienen konnten Ostbands in der Regel nichts an ihren Verkäufen. Klassische Beispiele sind aus der Sowjetunion bekannt, wo Bands wie Kruiz, Aria, Master oder Brigada S nicht selten Stückzahlen in Millionenhöhe in der Union verkaufen, dennoch von westlichem Popstar-Leben bestenfalls nur träumen können.
Dabei hätten viele dieser Bands auch im Westen sehr wohl ihre Chance und einige nutzen sie inzwischen. Wie Gorki Park, Sowjetrußlands erster Amerikaexport, Kruiz, Shah, die Ungarn Ossian, Pokolgep und Lord, die Tschechen Citron und andere, deren LP's neuerdings auch im Westen erhältlich sind. Eine der Pionierbands der Westinvasion aus dem Osten war sicherlich die polnische Combo KAT (nicht zu verwechseln mit der New Yorker Beethoven - Reinkarnation von eigenen Gnaden), die bereits 1986 ihr erstes Album im Westen veröffentlicht hatte, mit dem Release allerdings Schiffbruch erlitt, da der Standard denn doch zu nahe am Nullpunkt lag.
Das überwiegende Gros der Ostbands, ganz gleich aus welcher der ehemaligen oder noch existierenden Volksdemokratien, unterscheidet sich in einem Punkt von der englischsingenden Mehrheit der westlichen Rockmusikanten, die allermeisten singen in ihrer Muttersprache! Und das klingt in der Regel zwar im ersten Moment recht befremdlich, dann allerdings häufig ausgesprochen reizvoll.
Der Versuch, das selbe Songmaterial mit englischen Texten zu präsentieren, könnte für manche Gruppen derbe in die Socken gehen, wie unter anderem das Beispiel Kruiz in letzter Zeit bewiesen hat. (von Edgar Klüsener)
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